Engel Mobility Days 2023 mit einer Weltpremiere
Gemeinsames Ziel: Mehr Nachhaltigkeit
Von Automotive über Aviation bis zur urbanen Mobilität diskutierten Branchenexperten auf den Engel Mobility Days 2023 – supported by KTM Technologies – Mitte Juni in Österreich Lösungen für die Mobilität der Zukunft. Darunter war auch eine Weltpremiere: Ein Motorradsitzbankboden, produziert im neuen Tape-Sandwich-Verfahren.
"Lassen Sie uns zwei Tage lang Mobilität völlig neu denken", begrüßte Gastgeber Dr. Stefan Engleder, CEO der Engel-Gruppe, zu Beginn der Mobility Days 2023 die mehr als 500 Gäste im Design Center in Linz. Mobilität wird immer vielfältiger und das spiegelte sich im Konferenzprogramm wider. In den Vorträgen ging es um den Individualverkehr mit Pkw, Zweirad oder E-Scooter ebenso wie um den öffentlichen Personenverkehr mittels Bus, Bahn, Peoplemover oder Flugtaxi, um die Luftfahrt sowie um logistische Mobilitätskonzepte vom klassischen Lkw bis zur Drohne. Dabei eint alle Mobilitätsbereiche ein gemeinsames Ziel: Mobilität nachhaltiger zu gestalten.
Ob neue Antriebskonzepte oder autonomes Fahren: Die Trends verändern grundlegend die Anforderungen an die Mobilität und erfordern zum Teil völlig neue Material- und Herstellungskonzepte. Hieraus ergeben sich große Chancen für die Spritzgießindustrie. "Kunststoffe spielen in der Mobilität der Zukunft eine noch deutlich größere Rolle als heute", betont Franz Füreder, Leiter der Business Unit Automotive & Mobility von Engel. "Polymere Materialien sind per se Leichtbauwerkstoffe und unterstützen den schonenden Umgang mit Energie und Rohstoffen. Sie lassen sich sehr effizient im Spritzguss verarbeiten, was innovative Technologien für den Massenmarkt zugänglich macht." Die Mobility Days 2023 zeigen hierfür zahlreiche Beispiele auf.
Autonomes Fahren forciert Einsatz von Kunststoffen
Michael Fischer, Leiter Business Development Technologie von Engel, hob einen weiteren Vorteil der Werkstoffgruppe hervor: "Kunststoffe sind durchlässig für Schallwellen und elektromagnetische Strahlung und damit unverzichtbar für das autonome Fahren." Beim autonomen Fahren geht es um das Thema Konnektivität, die Kommunikation zwischen den Fahrzeugen untereinander sowie mit weiteren Verkehrsteilnehmern und der Umgebung. Die dafür eingesetzten Sensoren nutzen elektromagnetische und akustische Methoden. Abstandssensoren zum Beispiel arbeiten mit Ultraschall, die adaptive Geschwindigkeitsregelung mit Radar und Nachtsichtassistenten mit Infrarot.
"Kunststoffe lassen alle diese Wellen durch und haben deshalb im automobilen Front- und Heckbereich Aluminium und Stahl bereits verdrängt", so Fischer. "Das autonome Fahren ist eine große Chance für den Kunststoffspritzguss. Effizienter als jede andere Methode der Kunststoffverarbeitung erlaubt es das Spritzgießen, Sensorik und elektronische Funktionalität mit einem ästhetischen Design zu verbinden."
Engel hat hierfür unter anderem die Clearmelt Technologie entwickelt, ein Zwei-Komponenten-Verfahren, das IMD (In-Mould Decoration) mit Polyurethan-Überfluten kombiniert. "Das Überfluten mit Polyurethan im Spritzgießwerkzeug ermöglicht eine absolut reproduzierbare, glatte Oberfläche mit einer gleichmäßigen Wanddicke", sagt Fischer: "Damit ist die Technologie selbst für die Integration von optischen Sensoren prädestiniert." BMW in Landshut produziert auf dieser Technologiebasis im Reinraum "Nieren" für den elektrischen BMW iX.
Motorradsitzbankboden als Tape-Sandwich für mehr Steifigkeit
Vorgestellt wurde auf der Konferenz außerdem, wie die Entwicklungspartner Engel und KTM Technologies es möglich machen, eine höhere Steifigkeit bei einem kompakteren Bauteildesign und niedrigerem Gewicht mit einer hohen Kosteneffizienz zu vereinen. Ziel der gemeinsamen Entwicklungsarbeit war es, einen Sitzbankboden für Motorräder bei mindestens gleichen Bauteileigenschaften kompakter und leichter zu gestalten. "Wir bringen im Fahrzeug immer mehr Elektronikkomponenten unter und brauchen dafür Platz", erklärte Hans Lochner, Teamleiter Material and Applications von KTM Technologies in Anif, Salzburg, die Herausforderung. Durch die Elektrifizierung der Antriebe betreffe dieser Trend nicht nur Zweirad-OEMs, sondern die gesamte Mobilitätsbranche.
Bisher sind die Sitzbankböden der KTM Motorräder rein thermoplastische Spritzgießteile. Die erforderliche Steifigkeit wird durch geometrische Versteifung – zum Beispiel über Rippen – erzielt, was zu einer relativ hohen Bauteildicke von bis zu 9 mm führt. Um den notwendigen Bauraum zu reduzieren und mehr Platz für die Elektronik zu schaffen, nahm KTM Composite-Materialien und Produktionsverfahren unter die Lupe und setzte gemeinsam mit Engel einen Produktionsprozess auf, der sich durch eine besonders hohe Effizienz auszeichnet. Das Ergebnis ist die Tape-Sandwich-Technologie.
"Wir arbeiten im Tape-Sandwichprozess mit sehr dünnen, einlagigen Verstärkungsmaterialien wie zum Beispiel Tapes und Geweben mit Polypropylenmatrix, die ohne Vorwärmen in beide Kavitätenhälften des Spritzgießwerkzeugs eingelegt werden, bevor die Kavität mit Polypropylen gefüllt wird", erklärte Franz Füreder. "Aufgrund der spezifischen mechanischen Eigenschaften des Sandwichaufbaus können wir im Falle der Motorradsitzbankböden bereits mit einem einlagigen UD-Tape die erforderliche Steifigkeit erfüllen. Damit benötigt das Tape-Sandwich-Verfahren deutlich weniger Energie und eine einfachere Anlagentechnik als herkömmliche Verfahren der Faserkunststoffverbundverarbeitung. Die Produktionskosten können somit deutlich reduziert werden."
Beim vorliegenden Technologiedemonstrator Sitzbankboden konnten bei identischer Steifigkeit der notwendige Bauraum auf diese Weise um 66 Prozent und das Gewicht um zirka 26 Prozent reduziert werden. Ein weiterer Vorteil ist, dass Standardthermoplaste in mechanisch hochbeanspruchten Bauteilen zum Einsatz kommen können, da die Leistungsfähigkeit des Bauteils ausschließlich über die Tape-Struktur gesteuert wird. Auch das steigert die Kosteneffizienz.
Global Warming Potential sinkt
Die Entwicklungspartner haben unterschiedliche Spritzgießmaterialien getestet, neben herkömmlichem PP aus fossilen Quellen auch biobasierte und rezyklierte PP-Typen. Für die unterschiedlichen Materialkombinationen wurde jeweils das Treibhauspotenzial ermittelt. Im Vergleich zum Serienstand – vollständig aus fossilem PP hergestellte Sitzbank – wird mit der Tape-Sandwich-Technologie beim Einsatz von ebenfalls fossilem PP der GWP-Wert um 27 Prozent reduziert. Dieser Wert wird ausschließlich durch die Materialreduzierung erreicht. Mit Polypropylen aus nachwachsenden Quellen sinkt der GWP-Wert um 85 Prozent.