Automatisiertes Teilehandling
Mit Low Cost Robotic zum umspritzten Eiskratzer
Mussten früher Mitarbeiter:innen Eiskratzer in eine Spritzgussmaschine legen, hundertfach pro Schicht, übernimmt diese monotone Aufgabe bei Dr. Boy heute ein Low-Cost-Roboter von Igus. Er ist so kostengünstig und einfach zu bedienen, dass sich die Investition in das automatisierte Teilehandling nach schon etwa vier Monaten amortisiert.
Montagmorgen, Schichtbeginn bei einem Hersteller von Eiskratzern. Ein Mitarbeiter legt 20 Rohlinge in ein Magazin und startet die Boy 35 EVV, eine Spritzgussmaschine, die die Kratzer mit einer Lippe aus Thermoplastischem Elastomer (TPE) umspritzt. Was folgt, ist ein Beispiel für die Automation des Teilehandlings in der Kunststoffindustrie. Robolink, ein Vier-Achs-Roboterarm des Kölner Kunststoff-Spezialisten Igus, greift einen Rohling mit einem Vakuum-Endeffektor. Anschließend bewegt sich der Arm zum Umspritzautomaten. Der Clou: Auch an der Rückseite des Endeffektors befinden sich Saugnäpfe. Somit kann der Arm einen fertig umspritzten Eiskratzer aufnehmen, sich anschließend um 180 Grad drehen und den nächsten Rohling platzieren – mit einer Wiederholgenauigkeit von 0,8 Millimetern. Entnahme und Beladung finden also in einem Bewegungszyklus statt. Und das spart Zeit. Den fertigen Eiskratzer platziert der Roboterarm abschließend auf einem Förderband.
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Erstmals zu sehen war die Lösung für das automatisierte Teilehandling an einer Spritzgießmaschine auf der Fakuma 2018 in Friedrichshafen. „Das Thema Automation ist in der Kunststoffbranche stark wachsend“, sagt Bernd Fischer, Bereichsleiter Anwendungstechnik und Service bei Dr. Boy, ein Unternehmen aus Rheinland-Pfalz, seit 1968 spezialisiert auf die Entwicklung von Spritzgießautomaten. „Anders als vor einigen Jahren verlassen heute immer mehr Maschinen unser Haus automatisiert.“ Vor dieser Automationsphase mussten Werker die Rohlinge per Hand in die Maschine einlegen. Hundertfach pro Schicht. Eine monotone Arbeit, die ineffizient, ermüdend und fehleranfällig ist.
Verpackungen, technische Teile, Halbzeuge und Konsumwaren: Die kunststoffverarbeitende Industrie zählt den zu bedeutendsten Wirtschaftszweigen Deutschlands. Laut Gesamtverband Kunststoffverarbeitende Industrie (GKV) erwirtschaften über 330.000 Beschäftigte, vorwiegend im Mittelstand tätig, einen Jahresumsatz von über 65 Milliarden Euro. Diese Bilanz ist allerdings kein Grund, sich auf den Lorbeeren auszuruhen. Denn die Branche befindet sich in einer Transformationsphase – genau wie die meisten anderen Industriezweige. Der Kostendruck steigt, und Themen wie Automatisierung und Industrie 4.0 werden zum Wettbewerbsfaktor.
„Viele Betriebe scheuen das Thema Automatisierung allerdings, weil sie Investitionskosten von mehreren hunderttausend Euro befürchten“, sagt Norman Franke, Leiter Automatisierung Spritzguss bei Igus. „Dabei ist es heute dank Low-Cost-Robotic problemlos möglich, monotone und gefährliche Prozesse kostengünstig und risikoarm zu automatisieren. So kostet der Roboterarm Robolink mit 5-DOF ab 3.845 Euro – ein Bruchteil des Preises herkömmlicher Industrieroboter.“ Der Grund für die niedrigen Kosten: Viele Bauteile des Roboterarms, etwa Lager und Getriebe, bestehen nicht aus Metall, sondern aus Hochleistungskunststoff.
„Die Investition kann sich nach bereits vier Monaten amortisieren“, betont Fischer. Denn Mitarbeitende müssen sich nur noch 10 Prozent ihrer Arbeitszeit mit Teilehandling beschäftigen – und zwar mit dem Nachfüllen von Eiskratzer-Rohlingen in ein Magazin, aus dem sich der Roboterarm bedient.
Low-Cost-Robotic ist nicht nur in der Anschaffung günstig, sondern auch im Betrieb. Das beginnt bei der Bedienung. „Viele Unternehmen fürchten, dass sie viel Geld für IT-Experten ausgeben müssen, um den Roboterarm zu programmieren“, sagt Fischer. „Tatsächlich ist es aber bereits nach einer Einarbeitungszeit von wenigen Stunden sogar für IT-Laien möglich, Bewegungsabläufe festzulegen.“ Möglich macht das eine Software von Commonplace Robotics, deren Ursprung auf die Erwachsenenbildung zurückgeht.
Ihr Herzstück: eine 3D-Simulation des Roboterarms. Ein Digital Twin des realen Roboters. Anstatt zu programmieren, legen Mitarbeiter mit Mausklicks Start- und Zielposition des Arms fest. Die Software errechnet die Bewegungsbahnen automatisch. Auch das Einfügen eigener 3D-Objekte ist möglich. Die passende Robotersteuerung, als DIN-Rail-Version fertig integriert in einen Schaltschrank, sorgt für die Ansteuerung der Schrittmotoren – und kommuniziert dabei über Euromap-Schnittstelle mit der Steuerung des konnektiven Spritzgießautomaten. „Wir haben die Bedienung der Anlage so intuitiv gestaltet, dass der Bedarf an IT-Fachkräften auf ein Minimum reduziert ist“, betont Fischer. „Das spart Kosten und wirkt dem Problem des Fachkräftemangels entgegen, von dem auch die Kunststoffverarbeitende Industrie betroffen ist.“
Da die Lager des Roboterarms aus Hochleistungskunststoff bestehen, und nicht aus Metall, ist ein Trockenlauf ohne Schmiermittel möglich. Die leichten Kunststoffbauteile senken zudem den Energieverbrauch – in Zeiten steigender Energiekosten ein weiterer Sparfaktor. Nicht zuletzt benötigt die Automation nicht einmal zusätzlichen Platzbedarf. „Die Automation des Teilehandlings spielt sich innerhalb der 1,67 Quadratmeter großen Aufstellfläche des kompakten Umspritzautomaten ab. Zusätzlichen Platz muss der Betrieb nicht zur Verfügung stellen. Der Low-Cost-Roboter, das Teilemagazin und das Förderband ist auf dem freien Maschinentisch des Spritzgießautomaten platzsparend positioniert.“
Der Low-Cost-Automation von Spritzgussmaschinen steht ein hungriger Markt gegenüber, ist Fischer überzeugt. Geeignet sei die Lösung vor allem für Maschinen mit längeren Zyklen. „Für Zykluszeiten von über 30 Sekunden ist es für Betriebe wirtschaftlich sinnvoll, das Teilehandling mit Low-Cost-Robotic zu automatisieren.“ Für schnellere Anlagen hingegen sei Robolink zu langsam. Der Roboterarm bewegt sich mit einer maximalen Geschwindigkeit von 0,25 Metern pro Sekunde und schafft sieben Picks pro Minute.
Gefällt Betrieben das automatisierte Teilehandling, haben sie die Möglichkeit, die Automation auszubauen. Hier kommt RBTX ins Spiel, ein Online-Marktplatz, auf dem Hersteller von Low-Cost-Robotic ihre Produkte und Kompetenzen bündeln. Betriebe stellen Automationslösungen mit Hilfe eines Konfigurators zusammen. Roboter beispielsweise von Igus sind dabei das elektro-mechanische Grundgerüst – darunter auch kartesische Roboter, Gelenkarmroboter und Deltaroboter. Sie lassen sich kombinieren mit Komponenten verschiedener Hersteller, darunter Vision-Systeme, Greifer, interaktiver Software, Leistungselektronik, Motoren, Sensoren und Steuerung. Böse Überraschungen bezüglich Kompatibilität sind ausgeschlossen. „Damit auch kleinen Mittelständlern der risikoarme Sprung ins Automationszeitalter gelingt, haben Ingenieure alle Komponenten bereits miteinander kombiniert und getestet“, sagt Franke. „Dadurch ist ein reibungsloses Zusammenspiel gewährleistet. Betriebe können sich Lösungen bequem zusammenstellen und sofort loslegen.