Polygonal-Werkzeugspanner
Lösungen mit Halt
Wohl jeder, der in der Antriebs- und Fördertechnik, in der Getränke-, Lebensmittel- oder Verpackungsindustrie, in der Medizintechnik, bei der Herstellung von Pharmazeutika oder bei der Ausstattung von Laboren tätig ist, kennt die grünen Kunststoffteile, die das Unternehmen Murtfeldt in Dortmund so bekannt gemacht haben. Der Werkstoff mit der eher schlichten Bezeichnung S-Grün steht als Synonym für gute Gleiteigenschaften, hohe Verschleißfestigkeit und lange Lebensdauer.
Murtfeldt forscht und entwickelt, kombiniert in eigenen Laboren Rohstoffe und Additive immer wieder aufs Neue und optimiert seine Fertigungsverfahren. So stellt das Unternehmen sicher, dass sein Vorsprung vor Nachahmern erhalten bleibt. Neben dem Original Werkstoff „S“ bietet der Kunststoffbearbeiter verschiedene technische und Hochleistungskunststoffe an. Je nach Bedarf antistatisch, antibakteriell, verschleißfest, temperaturbeständig oder geräuschreduzierend. Teilweise werden mehrere dieser Eigenschaften miteinander kombiniert. Aktuell spielen zudem Varianten mit besonders energieeffizienten Gleiteigenschaften eine immer größere Rolle.
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Span(n)ende Kunststoffbearbeitung
Ausgangsprodukt für die Hochleistungsteile ist immer eine im eigenen Presswerk gefertigte Kunststoffplatte, meist aus ultrahochmolekularem Polyethylen. Um die außergewöhnlichen Gleit- und Verschleißeigenschaften sowie die Toleranzvorgaben der Kunden zu erfüllen, entstehen die Bauteile allesamt in einem der drei hauseigenen Fertigungscenter in spanender Bearbeitung. Sie unterscheiden sich damit von Wettbewerbsprodukten aus niedermolekularen PE-Typen, die zwar teilweise ebenfalls grün sind, aber andere Eigenschaften bieten. Neben den Werkstoffen ist vor allem die spanende Bearbeitung ein zentraler Schwerpunkt für Neuerungen. Mit modernen Sägen, Profilbearbeitungsmaschinen und Bearbeitungszentren will Murtfeldt seinen technologischen Vorsprung kontinuierlich ausbauen.
„Die Maschinen entwickeln sich weiter und mit Ihnen die Werkzeuge und die Spannmittel“, erläutert Betriebsleiter Ralf Kuhn. „Dabei stoßen konventionelle Spannzangenaufnahmen immer wieder an Grenzen, weil ihnen die dauerhaft zuverlässige Präzision fehlt.“ Über viele Jahre hinweg hat die Spannzangentechnologie ausgereicht, um die Bauteile aus Kunststoff zu fertigen.
Spannen ohne Schrumpfen
Im Laufe der Jahre haben sich allerdings viele Aspekte verändert. Heute machen die rund 8000 Standardprodukte, wie Gleitprofile, Ketten- und Riemenführungen sowie Kettenspanner nur noch rund 30 Prozent des Umsatzes aus. 70 Prozent sind mittlerweile individuelle Konstruktionen, etwa einbaufertige Maschinenteile und Profile, die nach Kundenzeichnungen gefertigt werden. Das Verhältnis hat sich komplett gewandelt – von mittleren Serien hin zu Einzelstücken und Kleinstserien.
Fünfzehn technische Kunststoffe werden in Dortmund bearbeitet, auch solche, mit Glasfaser- und Kohlenstoffkomponenten. Dabei sind zwei Faktoren entscheidend: Die Präzision am Werkstück und die Wirtschaftlichkeit des Fertigungsprozesses. Das über viele Jahre hinweg erworbene Know-how wurde immer weiter ausgebaut und verfeinert. Dazu zählt auch das Wissen um die effektivsten Werkzeuge und Spannmittel. „Ein entscheidender Faktor für uns ist, dass die Werkzeughalter bei Drehzahlen bis 25.000 min-1 über hohe Rundlaufgenauigkeit verfügen“, erläutert Ralf Kuhn. „Dies gilt umso mehr für unwuchtige, etwa einschneidige Werkzeuge. Es ist manchmal schon grausam, wie beispielsweise Portalfräsmaschinen gequält werden, wenn die Wuchtgüte des Systems aus Werkzeug und Aufnahme nicht stimmt.“ Werkzeughalter mit großen Werkzeugen, wie etwa Messerköpfen, sowie Schaftwerkzeuge ab 20 Millimeter Durchmesser ließ der Betriebsleiter deshalb bisher extern wuchten. Doch auch bei der großen Zahl einschneidiger Werkzeuge spielt die Wuchtgüte eine immer größere Rolle.
Mit dem Kauf mehrerer Fünf-Achs-Bearbeitungszentren wurde auch das Werkzeughalterkonzept überarbeitet. Ursprünglich sollte geschrumpft werden. Angesichts der Hochspannung, hohen Temperaturen und der damit verbundenen Verbrennungsgefahr bei halbautomatischen Anlagen wurde die Idee jedoch verworfen. Zudem wären die Investitionskosten in die Warmschrumpfanlage sehr hoch gewesen. Murtfeldt hat sich daher für die Tribos Polygonspanntechnik von Schunk entschieden. Seit knapp zwei Jahren sind mittlerweile auf zwanzig Bearbeitungszentren unterschiedliche Präzisionswerkzeughalter aus dem Tribos-Programm im Einsatz. Besonders bei der mehrseitigen Bearbeitung und auf Fünf-Achs-Maschinen spielt die Spanntechnik laut Ralf Kuhn seine Stärken aus. Auf einer CNC-Universal-Fräsmaschine DMU 70 eVo linear mache sich die geringe Störkontur der Werkzeughalter deutlich bemerkbar. Und auch der zuverlässige Rundlauf zahle sich aus. So können besonders tiefe Bohrungen präzise und mit hoher Oberflächengüte erzeugt werden. Das erhöhe die Präzision der Werkstücke und vermindere spürbar den Ausschuss.
Dreimal schneller fertigen
Im Gegensatz zu früher arbeitet Murtfeldt auf den modernen Maschinen mit Kühlschmiermittel und mit innerer Kühlmittelzufuhr. Mit der Umstellung auf Nassbearbeitung sank die Bearbeitungszeit der Teile laut Unternehmen im Mittel um rund zwei Drittel. Obwohl die Teile nun anschließend gereinigt werden müssen, sei der Rationalisierungseffekt dennoch enorm. Und ein weiterer Pluspunkt kommt hinzu: Beim Bohren wird die Schneide heute unmittelbar gekühlt und die teilweise enorme Wärme gut abgeleitet. Seither gasen die Werkstoffe nicht mehr aus, was früher zu einer erheblichen Geruchsbelästigung führte.
Das Polygonspannfutter spielt auch dort seine Stärken aus, wo andere Werkzeughalter aufgrund ihrer Störkontur nicht geeignet sind. Die schlanke Bauweise gewährleistet laut Hersteller zudem eine Rundlauf- und Wiederholgenauigkeit <0,003 Millimeter bei 2,5 × D Ausspannlänge. Das System ist serienmäßig feingewuchtet mit der Güte G 2.5 bei 25.000 min-1. Außerdem sind hohe Drehzahlen zulässig, beim Typ Tribso-S beispielsweise bis 80.000 min-1. Dabei werden gute Bearbeitungsergebnisse bei langen Standzeiten der Werkzeuge erreicht.
Für höhere Zustellungen nutzt Murtfeldt zudem Halterungen der Baureihe R. Mit großem Außendurchmesser und fachwerkartiger Kammerbauweise ist es besonders steif, erlaubt hohe Zustellungen und ermöglicht damit ein großes Zerspanvolumen. Schwingungsdämpfende Einsätze in den Hohlkammern schonen die Werkzeugschneide und sorgen für eine besondere Oberfläche bei lange Werkzeugstandzeiten. Insbesondere auf den Portalfräsmaschinen sind die schwingungsdämpfenden Eigenschaften gefragt. Im Vergleich zu Spannzangenfuttern sei das Belastungsprofil auf Spindel und Spindellager gleichmäßiger.
Das wohl außergewöhnlichste Mitglied aus der Werkzeughalter-Familie ist die Verlängerung SVL. Universell einsetzbar, kann diese extrem schlanke und hochpräzise Verlängerung mit verschiedenen Spannfuttern anderer Hersteller kombiniert werden. Das spart in vielen Fällen den Einsatz teurer Sonderwerkzeuge. Die Verlängerung mit Rundlaufgenauigkeit <0,003 Millimeter wird im Grundwerkzeughalter an Stelle des Werkzeugs gespannt. So lassen sich auch enge Bauräume präzise und kostengünstig erschließen.
Tausendfach gespannt und immer noch präzise
Das Spannprinzip ist wirkungsvoll: Der Werkzeughalter hat anstelle einer runden eine polygonförmige Aufnahmebohrung für das Werkzeug. Eine Spannvorrichtung beaufschlagt sie von außen mit einem definierten Druck, der die Aufnahmebohrung innerhalb des dauerelastischen Bereichs zu einem Zylinder verformt. Dieser Vorgang bewegt sich unterhalb der Rp 0,2 %-Dehngrenze, so dass Gefügeänderungen im Stahl ausgeschlossen sind. In diesem Zustand kann das Werkzeug einfach in den Halter gefügt werden. Anschließend wird der äußere Druck reduziert, der Innendurchmesser bewegt sich aufgrund seiner Materialelastizität in die ursprüngliche, polygonale Form zurück und das Werkzeug wird über die Eigenspannung des Stahls kraftschlüssig gespannt.
Dauertests haben laut Hersteller gezeigt, dass selbst bei tausendfach wiederholten Spannvorgängen keine Materialermüdung auftritt. Die Werkzeughalter enthalten keine beweglichen Teile. Sie sind im Gegensatz zu Spannzangenfutter mechanisch unempfindlich und gewährleisten dauerhaft eine nahezu wartungs- und verschleißfreie Spannung. Weil sie ausschließlich radial verformt werden und kaum Dehnung in der Länge stattfindet, können Werkzeuge mit einer minimalen Toleranz von 0,01 Millimeter in der Länge eingestellt werden. Auch das ist ein Vorteil gegenüber thermischen Schrumpffuttern, die während der Abkühlung ihre Länge reduzieren.
Feingewuchtete Komplettsysteme
Nachdem sich die Polygonspanntechnik bei Murtfeldt bewährt hat, steht für Ralf Kuhn nun der nächste Effizienzschritt an: Für einen nahezu perfekten Rundlauf will er künftig das komplette System aus Werkzeughalter und Werkzeug wuchten. Mit der Messmaschine Acuro plus soll dies künftig realisiert werden. Die Auswuchthilfe bietet einen Werkzeugspeicher bis 1000 Sätze Kapazität und kann die Unwucht von Werkzeugen und Schleifscheiben bis 15 Kilogramm Gewicht, 340 Millimeter Durchmesser und 350 Millimeter Länge messen.
Unabhängig vom Hersteller und ohne jedes Mal neu zu kalibrieren, können in der Maschine alle gängigen Werkzeugaufnahmen ohne Zwischenadapter mit hoher Spanngenauigkeit überprüft werden. An einem bedienerfreundlichen Display wird die Unwucht in einer beziehungsweise optional auch in zwei Ebenen angezeigt. Auf Wunsch ist das sogar per Lasermarkierung möglich. Die Maschine liefert detaillierte Angaben, wo wie viel Material abgetragen beziehungsweise mit Stiftschrauben oder Auswuchtringen ergänzt werden muss.
Der Spannvorgang geschieht über eine elektropneumatische Steuerung. Die Auswuchtmaschine simuliert dabei praxisnah und mit konstanten Einzugskräften das Einziehen der Aufnahme in die Maschinenspindel. Eine Software unterstützt den Bediener unter anderem mit Kalibrierfunktion, Fehlerdiagnose und optischer Eindrehhilfe am Bildschirm. Zudem ist es möglich, ausgehend von der Wuchtgüte die maximale Drehzahl zu ermitteln, für die ein System aus Werkzeughalter und Werkzeug geeignet ist.
Aufgrund der niedrigen Losgrößen bei Murtfeldt hält es Betriebsleiter Ralf Kuhn für besonders wichtig, dass die jeweiligen Maschinenführer möglicht kompetent sind. Kuhn verzichtet auch deshalb auf eine Meisterebene in der Fertigung. „Kleinstserien erfordern eine Menge Know-how auf der Maschine. Deshalb belassen wir die Verantwortung beim Bediener am Bearbeitungszentrum. Bei uns sollen alle mitdenken.“