Sicherheitsrelevante Strukturbauteile
Endlos verstärkte Kopfstütze im Kindersitz
Endlosfaserverstärkte thermoplastische Verbundwerkstoffe haben auch im Leichtbau struktureller Sicherheitskomponenten großes Einsatzpotenzial. Welche Möglichkeiten sie bieten, zeigt das Beispiel einer als Technologiedemonstrator entwickelten Kopfstütze für einen Kindersitz.
Die Kopfstütze wird im Partikelschaum-Verbund-Spritzgießverfahren (PVSG) gefertigt. Mit dem Einleger aus dem endlosfaserverstärkten thermoplastischen Verbundwerkstoff der Marke Tepex kann laut Lanxess das Gewicht der Kopfstütze gegenüber der kommerziell gefertigten Bauteilvariante um bis zu 30 Prozent gesenkt werden – und das bei vergleichbar guter Crash-leistung. Außerdem vereinfach das den Fertigungsprozess.
Der Demonstrator ist das Ergebnis eines vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) im Rahmen des Zentralen Innovationsprogramms Mittelstand (ZIM) geförderten, länderübergreifenden Forschungsprojekts. Daran beteiligen sich das Institut für Strukturleichtbau und Kunststoffverarbeitung (SLK) der TU Chemnitz, Polycomb aus Auengrund in Thüringen und der Kindersitzhersteller Avionaut aus Szarlejka in Polen, der den als Referenz dienenden Kindersitz produziert.
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Die Projektpartner entwickelten für die Kopfstütze einen alternativen Fertigungsprozess auf Basis des PVSG. Sie griffen dabei zur lokalen Versteifung der Kopfstütze und zur Gewichtseinsparung auf einen zugeschnittenen Einleger aus Tepex Dynalite 104-FG290(4)/47% zurück. Dabei handelt es sich um ein Polypropylen-basiertes, mit zwei Gewebelagen aus Endlosglasfaser-Rovings verstärktes Verbundmaterial. Der Einleger wird in einem Spritzgießwerkzeug mit Wendeplatte in einem Prozessschritt umgeformt und mit einem kurzglasfaserverstärkten Polypropylen-Compound hinterspritzt, um unter anderem die Tragstruktur für die Kopfstütze und Rückenlehne zu integrieren. Anschließend folgt im zweiten Werkzeug das Hinterschäumen des zuvor gefertigten Einlegers mit einem Partikelschaum auf Basis von expandiertem Polypropylen (EPP).
Von sechs auf eins
Die Referenzkopfstütze wird dagegen derzeit aus mehreren einzelnen Komponenten in Serie gefertigt. Die Tragstruktur besteht dabei aus langglasfaserverstärktem Polypropylen. Sie wird mit einer separat geschäumten EPP-Komponente mit vier Tragestiften aus Polypropylen zusammengebaut. Der neue, hochintegrierte Fertigungsprozess sei im Vergleich zum bisherigen Verfahren nicht nur energieeffizienter, sondern erzeuge direkt das fertige Bauteil. Insgesamt reduziert sich dadurch die Teilezahl von sechs auf ein Teil, was die Fertigungskosten unter anderem in puncto Logistik und maschinellem Aufwand senkt. Die Gewichtsersparnis bei der Kopfstütze lieg, so die Projektpartner, in der derzeitigen, glasfaserhaltigen Bauteilausführung bei etwa 26 Prozent, sei aber noch nicht ausgereizt. Komme im Verbundhalbzeug und im Spritzgießmaterial eine Verstärkung auf Basis von Kohlenstofffasern zum Einsatz, resultiere eine um fast 30 Prozent leichtere Baugruppe.
Die Projektpartner hatten verschiedene Entwicklungsschwerpunkte und Aufgaben. Das SLK kümmerte sich zum Beispiel um die Materialauswahl, analysierte die Verbundhaftung, legte die Struktur aus und führte eine Topologieoptimierung durch. Polycomb war unter anderem für die Entwicklung und konstruktive Umsetzung des Demonstrators verantwortlich, fertigte Prototypen und optimierte das Anlagenkonzept. Avionaut analysierte beispielsweise die Krafteinleitungsbereiche, entwickelte das Design und prüfte in realistischen Kollisionsversuchen das Crash-Verhalten der Kopfstütze und des ganzen Sitzes. Lanxess unterstützte die Projektpartner bei der Materialwahl und gab unter anderem Hilfestellung bei der Gestaltung des Hybrid Molding-Prozesses.
Potenzial bei anderen Baugruppen
Lanxess sieht für Tepex und das neue Verfahren auch gute Einsatzchancen in der Herstellung von Babyschalen oder von Rücken- und Armlehnen sowie Sitzschalen für neue, komplexe Sitzkonzepte des autonomen Fahrens oder für Komfortsitze von Shuttle-, VIP- und Familienbussen. Gerade Elektrofahrzeuge würden von leichtgewichtigen Sitzen besonders profitieren. Im Rahmen des Kundenservices Hiant werden Projektpartner bei der Entwicklung und Umsetzung solcher Komponenten und des zugehörigen Prozesses unterstützt. Zu den Serviceleistungen zählen zum Beispiel Drapiersimulationen, die Werkzeugauslegung und Hinweise zum richtigen Handling des warmen, weichen Halbzeugzuschnitts. Außerdem werde bei der Implementierung des Serienprozesses unterstützt.