Grüne Werkstoffe

Bio boomt

Nachwachsende Rohstoffe durchdringen die K-Branche
Die Begrifflichkeiten gehen ebenso auseinander wie die Meinungen über Sinn und Unsinn von – komplett oder in Teilen – aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellten Kunststoffen. Man kann geteilter Meinung sein, eins ist jedoch sicher: Unter dem Label werden künftig noch weitere Werkstoffe auf den Markt kommen.

Biowerkstoffe sind Werkstoffe, die vollständig oder in relevantem Maß auf Agrarrohstoffen oder Holz basieren. Typische dieser nachwachsenden Rohstoffe sind Stärke, Zucker, Pflanzenöle und Lignocellulose (Holz, Naturfasern, Stroh) sowie spezielle Biomoleküle wie Lignin oder Kautschuk. Der Anteil dieser Naturrohstoffe im Werkstoff soll mindestens 20 Prozent betragen, definiert das Nova-Institut, Hürth.

Zu den Biowerkstoffen, den „biobasierten Werkstoffen und Produkten“ (engl. biobased products), zählen demnach unter anderem biologisch abbaubare und dauerhafte Biokunststoffe, unterschiedliche Naturfaser-Verbundwerkstoffe sowie Holz-Polymer-Werkstoffe (Wood Plastic Composites). Von „neuartigen oder innovativen Biowerkstoffen“ spreche man in Abgrenzung zu traditionellen Biowerkstoffen wie Span- oder Tischlerplatte. Die Neuen werden in den üblichen Verfahren der Kunststofftechnik wie Spritzgießen, Extrusion, oder Tiefziehen verarbeitet. In Europa, so schätzt das Institut, werden aktuell jährlich bereits 400.000 Tonnen dieser neuen Werkstoffe eingesetzt, Tendenz steigend. Gründe für das Wachstum sind ökologische Vorteile wie geringere CO2-Emissionen, aber auch eine Verminderung der Abhängigkeit vom Erdöl durch eine Rohstoff-Diversifizierung. Hinzu komme, dass Biowerkstoffe heute schon soweit entwickelt und in Nischen etabliert seien, dass sie oft allein schon vom Eigenschaftsprofil überzeugen können und die beste Werkstofflösung für eine bestimmte Anwendung sind. Bei der Produktion von Biowerkstoffen spielt zunehmend die industrielle Biotechnologie eine Rolle.
Je nach Erfordernis garantieren einige Biokunststoffe eine lange Gebrauchsdauer, andere sind biologisch abbaubar und zerfallen in natürlich vorkommende, ungiftige Ausgangsprodukte. Mikroorganismen wie Pilze, Bakterien und Enzyme sorgen dafür, dass nur Wasser, Kohlendioxid und Biomasse übrig bleiben, die von der Natur weiter verwertet werden. Egal, ob Biokunststoffe nach Gebrauch in die Biogasanlage wandern, thermisch verwertet oder kompostiert werden: Aus Pflanzen gewonnene Werkstoffe setzen nach ihrem Gebrauch nur das CO2 frei, das die Pflanzen während ihrer Wachstumsphase aus der Atmosphäre entnommen haben.

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Im Gegensatz zu fossilen Rohstoffen sind sie also weitgehend CO2-neutral, und Stoff- und Energiekreislauf sind geschlossen. Werden Biokunststoffe am Ende der Verwendung thermisch verwertet, sorgen sie zusätzlich noch für klimaneutrale Energie. Die Umweltvorteile dieser Kreislaufwirtschaft liegen auf der Hand.

Biokunststoffe haben aber nicht nur  ökologische Vorteile, konstatiert die Fachagentur nachwachsende Rohstoffe (FNR) im mecklenburgischen Gülzow. Sie helfen außerdem fossile Rohstoffe schonen und verringern unsere Abhängigkeit vom Erdöl. Vor allem an diesem Punkt setzten in den letzten Jahren die Werkstoffentwickler an: Die enormen Preissteigerungen der „klassischen“ Kunststoffe und die zu erwartenden weiteren Steigerungen der Entsorgungsaufwendungen und entsprechender Vorsorgemaßnahmen haben die Entwicklungsbemühungen hinsichtlich „grüner“ Kunststoffe, „Bio“-Kunststoffe und anderer Label beflügelt.

Eine der in der Öffentlichkeit am frühesten wahrgenommenen Ansätze zur Anwendung biologisch abbaubarer Kunststoffe waren Einkaufstüten aus kompostierbaren Werkstoffen in den 70er Jahren. Was sich bis dahin konträr gegenüberstand, Umweltfreundlichkeit und Kunststoff, sollte nun in einem Produkt verschmelzen. Die Ansätze waren nur bedingt erfolgreich: Die damalig verwendeten Folien zu kompostieren, brauchte es häufig nahezu Laborbedingungen – und viel Zeit.

Vorreiter Folie

Inzwischen sind die Entwickler offensichtlich mehrere Schritte weiter. Gerade der Verpackungssektor mit seinen großen Verbrauchsmengen wurden entsprechende Anstrengungen unternommen, um einerseits technisch und wirtschaftlich gute Lösungen zu finden, und andererseits den Zusatznutzen des Öko-Labels zu schaffen. Eine der jüngsten Entwicklungen kommt von der BASF: Der biologisch abbaubare Kunststoff Ecovio, der in Tüten des Discounters Aldi-Süd eingesetzt wird. Produziert werden die Tüten von der Unternehmensgruppe Victor Güthoff & Partner GmbH in Kerpen.

Der Werkstoff besteht aus Ecoflex und aus Polymilchsäure (PLA), die aus Ecovio Mais gewonnen wird. Der Kunststoff Ecoflex ist chemisch betrachtet ein Polyester auf petrochemischer Basis. Durch seine spezielle Molekülstruktur kann er jedoch, so der Hersteller, unter genau definierten Bedingungen, von Mikroben verdaut werden: Er ist nach Norm EN 13432 vollständig biologisch abbaubar. Während Ecoflex die Tüte flexibel, reißfest, wasserfest und bedruckbar macht – ihr also die Eigenschaften eines klassischen Kunststoffs verleiht – steuert das steife PLA einen Anteil an nachwachsenden Rohstoffen bei. Die Kombination ermöglicht es Folienherstellern, Tüten und andere Folienprodukte mit maßgeschneiderten Eigenschaften zu fertigen, wobei die Rohstoffanteile die Flexibilität des Endprodukts beeinflussen. Biologisch abbaubare Einkaufstaschen bieten dem Kunden einen Zusatzvorteil. Sie sind stabil genug, um mehrfach als Einkaufstasche verwendet zu werden. Danach empfiehlt sich zwar nicht die Entsorgung auf dem eigenen Komposthaufen, der Kunde kann die Tüte jedoch im letzten Schritt zur Entsorgung von Speiseabfällen in der Biotonne nutzen – das ist heute bereits in den meisten Kommunen Deutschlands zulässig.

Luft in Bio-Folie

Ebenfalls in der Verpackungstechnik ist das Luftkissensystem Airplus von Storopack angesiedelt, das um eine Variante aus Biokunststoff erweitert wurde. Da sich die kompostierbare Folie für alle Gerätetypen der Serie eigne, werde eine große Bandbreite an Anwendungen erschlossen, so der Anbieter. Die Kompostierbarkeit von Airplus Bio Film ist auch in diesem Fall nach EN 13432 zertifiziert. Die Luftkissen sind daher mit dem Keimling-Logo gekennzeichnet und machen für den Empfänger sichtbar, dass sich das absendende Unternehmen für Nachhaltigkeit einsetzt.

Derzeit stehen Luftkissen in den Formaten 200 × 200 und 200 × 100 Millimeter zur Verfügung. Es ist geplant, weitere Varianten aus dem Portfolio der PE-Folien aufzunehmen. Die Zusammensetzung ist ähnlich der in den Aldi-Tüten verwendeten Werkstoffen: Ein biologisch abbaubares Kunststoff-Compound auf Basis von Polymilchsäure (PLA) mit Copolyester. Er wurde von FKUR, Willich, in Kooperation mit dem Fraunhofer Institut, Oberhausen, entwickelt.

Wie bei den Folien auf Basis von Polyethylen coextrudiert Storopack das Polymer bei der Verarbeitung, so dass ein dreischichtiger Aufbau entsteht. Im Vergleich zu mono-extrudierten Folien sollte der Materialverbrauch sinken, die Elastizität steigen und die geringe Permeabilität dafür sorgen, dass die Luftfüllung nicht schwindet. Hergestellt wird der Airplus Bio Film an den Produktionsstandorten in Wildau (Deutschland) und Cincinnati (USA).
Storopack folgt einem Ansatz, wonach der Begriff Biokunststoff an die zwei eingangs erwähnten Merkmale geknüpft sein sollte. Erstens, das der Funktionalität – dass das Kunststoffprodukt kompostierbar ist. Und zweitens, das der Rohstoffbasis, dass es sich um ein Produkt auf der Basis von nachwachsenden Rohstoffen handelt. Beide Bedingungen seien hier erfüllt. Für den Standort Nordamerika hat Storopack in den USA die Zertifizierung ASTM D6400 erhalten.

Mit diesem Produkt will sich der Anbieter auch gegen so genannte „oxo abbaubare“ Folien abgrenzen. In der Regel handele es sich dabei um Kunststoffe, die komplett aus Standard-Polyethylen (PE) bestehen, dessen Rohstoff also Erdöl ist. Das PE sei lediglich mit Zusätzen versehen, die den Abbau beschleunigen. Diese Additive basieren auf Metallverbindungen. Nach Angabe von European Bioplastics (Berlin) sind einige dieser Zusatzstoffe nach EU-Recht als Gefahrstoffe zu klassifizieren. Nachgewiesen wurde zum Beispiel Kobalt.

Fahrzeugbau sucht Potenziale

Neben der Verpackungstechnik ist die Automobilindustrie als ein großer Anwender von Kunststoffen der Treiben in Sachen Bio-Werkstoffe: Die Suche nach Möglichkeiten der Kostensenkung und Möglichkeiten der Profilierung hinsichtlich Umweltfreundlichkeit greifen gleichermaßen. Neben Lösungen, die häufig eher im Verborgenen Dienst tun, beispielsweise Presswerkstoffe mit Naturfasern für Verkleidungen, rücken zunehmend technologisch anspruchsvolle Anwendungen in den Fokus. So wurde für den neuen Kühler des japanischen Kfz-Zulieferers Denso das auf pflanzlichen Rohstoffen basierende Polyamid Zytel 610 von Dupont eingesetzt. Hier muss es sich unter langzeitig hohen Temperaturen und aggressiven Chemikalien bewähren.

In diesem Projekt entwickelten die Ingenieure von Zulieferer und Werkstofflieferant gemeinsam den maßgeschneiderten Kunststoff, der mit verbesserten Eigenschaften und hoher Nachhaltigkeit auftrumpfen soll. Das neue Material besteht zu 40 Gew.-% aus Rohstoffen, die aus dem Samen der Rizinuspflanze gewonnen werden. Seine hohe Hitze-, Alterungs- und Streusalzbeständigkeit sei mit vielen anderen Kunststoffen mit ähnlich hohem Anteil an pflanzenbasierten Rohstoffen nur schwer zu erreichen. Die Produktion des Bauteils für den weltweiten Markt läuft demnächst an.

Ähnlich anspruchsvoll, wenn auch mit umgekehrtem Vorzeichen, ist der Einsatz eines biobasierten Kunststoffs im Freizeitbereich: Auch bei niedrigen Temperaturen dürfen Festigkeit und Schlagzähigkeit nicht leiden. Der Schaft des neuen Freeride-Skistiefels Ghost von Salomon, Annecy/Frankreich, hergwstellt, ist aus Hytrel RS (renewably sourced) von Dupont und ist laut deren Angaben eine der weltweit ersten kommerziellen Anwendungen dieses bio-basierenden thermoplastischen Elastomers. Der hier verwendete Materialtyp bestehe zu 27 Gew.-% aus erneuerbaren Rohstoffen und biete alle in anspruchsvollen Wintersportanwendungen geforderten Eigenschaften. In der Wintersaison 2008/09 stand der Ghost-Skistiefel ausschließlich gesponserten Freeridern zur Verfügung. Die allgemeine Markteinführung ist für den Winter 2009/10 vorgesehen.

Der Schaft sorgt für einen sicheren Sitz des Skistiefels und schützt den Unterschenkel des Skifahrers vor Verletzungen. Zugleich muss er biegsam genug sein, um die Bewegungen des Beins sicher und zuverlässig auf den Ski zu übertragen. Die Vorteile des Werkstoffs wurden bereits für die Schäfte und die Sohlen seiner Langlaufschuhe verwendet. Daher verfolgte der Hersteller die Markteinführung der neuen, auf Basis nachwachsender Rohstoffe hergestellten Hytrel-Typen mit Interesse, denn die neueste Generation seiner Alpin-Skistiefel sollte auch unter Umweltaspekten eine Spitzenstellung einnehmen. Der Einsatz eines Hochleistungskunststoffs als Alternative zu Polyurethan mit einem Anteil an Material auf Basis nachwachsender Rohstoffe ist ein zusätzliches Verkaufsargument für die Stiefel.
Leistungsmäßig unterscheiden sich diese thermoplastischen Elastomere laut Hersteller nicht von denen der herkömmlichen, auf Erdöl basierenden Hytrel Typen, sie seien aber umweltfreundlicher als diese. Grundstoff für ihre Herstellung ist Cerenol, ein aus Maiszucker gewonnenes Polyol. Der Gesamtgehalt an nachwachsenden Rohstoffen kann zwischen 20 und 60 Prozent betragen. Salomon als Verarbeiter bestätigt, dass sich das Material gut für die herkömmlichen Verarbeitungsverfahren eigne.

Zu den anwendungsspezifisch entscheidenden Eigenschaften gehören die im Vergleich zu Polyurethan hohe Biegewechselbeständigkeit und Elastizität bei Temperaturen bis –20 Grad Celsius sowie eine hohe Schlagzähigkeit. Der Schaft wird per Spritzguss in einem Stück gefertigt und mit Hilfe eines Masterbatch weiß eingefärbt. Das Motiv wird im Tampondruck aufgebracht.

Bio für die Zukunft

Auch wenn das Preisniveau für Kunststoffe kurzfristig drastisch gesunken ist, dürfte langfristig der Einsatz nachwachsender Rohstoffe Thema bleiben und sicher weitere Anwendungen erschließen. Zu verlockend ist in vielen Fällen das werbliche Argument des „Grünen Kunststoffs“. Allerdings dürfte die weltweit begrenzte Verfügbarkeit natürlicher Rohstoffe dem Tun Grenzen setzen. Zudem gibt es durchaus kritische Stimmen, die einigen unter dem Bio-Label angebotenen Kunststoffen eine durchaus negative Umweltbilanz bescheinigen.

Es wird, soviel kann wohl prognostiziert werden, einmal mehr auf die Rahmenbedingungen jeder speziellen Anwendung, auf die Innovationsfähigkeit der Werkstoffentwickler und die Fantasie der Konstrukteure im Einzelfall ankommen. Und schlussendlich sprechen auch Controller und – vor allem – Marketingspezialisten ein Wörtchen mit. Allgemeingültige Regeln wird es auch künftig nicht geben, es wird spannend bleiben, welche Lösungen in den nächsten Jahren aus dem Hut gezaubert werden.

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