(Reißver-)Schluss

Meinolf Droege,

Keine konventionellen Kunststoffe in der Bekleidungsindustrie

Auch bei Modeartikeln achten Kunden zunehmend auf Nachhaltigkeit. Selbst die Wochenangebote der großen Discounter weisen großflächig auf den Einsatz nachhaltig erzeugter Rohstoffe hin.

Aber Kleidungsstücke sind mehr als Stoff – schließlich gibt es auch Garne, Fasern und Applikationen wie Reißverschlüsse. Umso besser, wenn auch die aus demselben Material bestehen. Zwei italienische Produzenten setzen in diesen Fällen auf einen biobasierten Kunststoff.

Auf Basis nachwachsender Rohstoffe produzierte Reißverschlüsse und Textilien zu verbinden kommt dem Nachhaltigkeitsgedanken doppelt entgegen, nämlich auch bei dem vereinfachten Recycling. © Evonik

Gabriele Mosso stellt fest: „Der Reißverschluss ist ein ziemlich kompliziertes Produkt.“. Dieser Alltagsgegenstand, der uns so vertraut ist, mit dem wir Jacken, Taschen oder Bettwäsche schließen – zweifellos ein geniales Konzept, aber: kompliziert? Gabriele Mosso leitet seit 15 Jahren den italienischen Reißverschlusshersteller Nyguard, nennt sich selbst augenzwinkernd einen „Reißverschlussverrückten“ und weiß, wovon er spricht. Damit ein Reißverschluss reibungslos funktioniert, ist viel Detailarbeit nötig. Das richtige Material, die exakte Form. Die Zähne müssen fließend ineinandergreifen, dürfen nicht hängenbleiben, nicht stocken. Und der Verschluss muss im wahrsten Sinne des Wortes nahtlos in das Band eingearbeitet sein. Vor 125 Jahren entstand die Idee, damals noch mit verschiebbaren Metallklammern. Doch die ersten Versionen scheiterten alle daran, dass sie umständlich waren oder sich zur Unzeit verhakten. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich an der Grundidee nicht mehr viel verändert. An den Details aber sehr wohl. Der Verschluss besteht heute meistens aus Kunststoff und auch das Band ist synthetisch.

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An dieser Stelle trifft Materialentwicklung auf Nachhaltigkeit. Wie kann nachhaltige Mode aussehen? Kleidungsstücke zu recyceln wäre eine Variante: Recycling ist aber generell schwierig, wenn verschiedene Werkstoffe miteinander fest verbunden sind. Das gilt für Verbundverpackungen genauso wie in diesem Fall für Hosen mit Reißverschlüssen. Aus diesem Blickwinkel stellt sich die Frage: „Warum nicht den Reißverschluss aus demselben Material herstellen wie das Band, an dem er befestigt ist? Aus Kunststoff, klar, aber aus einem nachhaltigen, biobasierten Kunststoff. Und noch besser: Aus einem Material, das sich auch für das komplette Kleidungsstück eignen würde?“ Damit wäre man der Möglichkeit, Kleidung zu recyceln, einen Schritt näher. Auch wenn es bis zur Realisierung dieser Vision noch ein kleiner Weg ist, weil einige Details des Kleiderrecyclings noch erfunden werden müssen – die Voraussetzungen von Seiten der Hersteller wäre geschaffen. Anfangs war es Interesse weniger Kunden von Textilien aus biobasiertem Kunststoff. Seit etwa drei Jahren aber ziehe das Thema enorm an.

Fast 100 Prozent biobasiert

Fündig wurde Gabriele Mosso bei Evonik und dem Produkt Vestamid Terra. Unter dieser Marke wird ein Polyamid vertrieben, das komplett aus biobasiertem Material hergestellt wird, aus Rizinusöl; ein Rohstoff, der weder als Nahrungsmittel zum Einsatz kommt, noch als Futtermittel. Da die Pflanze, der sogenannte Wunderbaum, trockene Böden und Dürre toleriert, konkurriert der Anbau des nachwachsenden Rohstoffs nicht mit Anbauflächen für Nahrungsmittel. Laut Evonik also eine ideale Pflanze für biobasierte Lösungen. Nyguard hat sich entschlossen, konsequent in diese Richtung zu gehen. „Wir können mit den großen Unternehmen bei Standardprodukten ohnehin nicht konkurrieren, also haben wir uns eine Nische geschaffen“, erklärt Gabriele Mosso. Noch produziert Nyguard vereinzelt auch Reißverschlüsse aus Kunststoff, der nicht biobasiert ist: Aber der Anteil nachwachsender Rohstoffe geht auf 100 Prozent zu.

Zunehmende Nachfrage verzeichnen die Hersteller nachhaltiger Kleidung. © Messe Düsseldorf, ctillmann

Zu dieser erfolgreichen Umstellung trägt auch die Kooperation mit Textilhersteller Fulgar bei. Der Kunststoff von Evonik ähnle dem Polyamid, das Nyguard bislang verwendet habe. 36 000 Tonnen Garn produziert Fulgar nach eigenen Angaben jährlich – mittlerweile eben auch aus nachhaltigen Kunststoffen. Fulgar ging in einen engen Austausch mit Evonik. Nach einer Reihe an Versuchen wurden Werkstoffformulierungen gefunden, die in die Produktgruppe gut funktionieren. „Fulgar hat die Chancen für Textilien durch Vestamid Terra erkannt“, sagt Johannes Krampe, Manager Filaments im Bereich High Performance Polymers bei Evonik. „Wir merken, wie sehr das Thema Nachhaltigkeit mittlerweile präsent ist“. Immer mehr Unternehmen reagierten auf diesen Wunsch der Kunden, kein Teil der Wegwerfgesellschaft sein zu wollen.

Für den Garnproduzenten hat der biobasierte Kunststoff weitere Vorteile. Die Kunststofffaser sei gut im Feuchtigkeitsmanagement und auch in der Abdeckung. Mit einem daraus verarbeiteten, vergleichsweise leichten Stoff fühlt sich der Träger besser geschützt vor Wind und Kälte. Und Feuchtigkeit verdunste nachweislich sogar noch etwas besser als bei vergleichbaren Polyamiden auf petrochemischer Basis. Damit sei Vestamid Terra unter anderem für Sport- und Outdoor-Kleidung eine interessante Alternative, genauso wie für Unterwäsche. Aber auch von Produzenten für Abendgarderobe und Luxusmode seien, gebe es Anfragen“, sagt Garosi.

Genau bei solchen Aufträgen, bei Outdoor- und Luxuskleidung, ist auch für Fulgar die Kooperation mit den Reißverschlussherstellern von Nyguard ein Gewinn. Wenn es leichter wird, ein Kleidungsstück zu recyceln, dann ist das für alle Seiten eine sinnvolle Sache. Das wiederum zahlt in den großen Bereich Nachhaltigkeit ein.

„Vor einigen Jahren noch waren die Firmen zwar an nachhaltigen Reißverschlüssen interessiert, aber noch nicht bereit, dafür, zu zahlen“, sagt Nyguard-Geschäftsführer Mosso. Eine Erfahrung, die sich also mit jener von Fulgar deckt. Das hat sich geändert, und besonders im Jahr 2020 noch einmal deutlich verstärkt. Für Mosso ein Beweis, dass seine Entscheidung, voll auf biobasierte Kunststoffe zu setzen, richtig war. Mittlerweile gehe er immer häufiger zu Kunden mit eigens angefertigten Modell-Entwürfen von Kombinationen aus Reißverschluss und Garn, die beide aus dem gleichen Werkstoff bestehen. „Wir verdoppeln da sozusagen unsere Vertriebsstärke“, sagt er. „Das ist echtes Co-Marketing. Und es ist erfolgreich, weil es genau den richtigen Nerv trifft.“ Zumal er seines Wissens nach wie vor der einzige ist, der derzeit Reißverschlüsse aus biobasiertem Material anbietet. „Weil wir frühzeitig darauf gesetzt haben und unser Produktionsprozess bereits darauf eingestellt ist.“ Er zwinkert. Der Reißverschluss – das ist schließlich in manchen Details ein durchaus kompliziertes Produkt.

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