LCP-Verarbeitung

Annina Schopen,

Homogene Wärme im Heißkanal

Die Harting-Technologiegruppe verarbeitet für einige ihrer Steckverbinder flüssigkristalline Polymere (LCP). Für die Verarbeitung von LCP bieten sich Heißkanalsysteme an, da sie einen homogenen Wärmehaushalt garantieren. Das Unternehmen setzt auf Heißkanalsysteme von Günther, die sich unter anderem durch eine homogene Temperaturführung sowie eine gute thermische Trennung zwischen Heißkanal und Werkzeug auszeichnen.

In der Kunststoffspritzerei von Harting werden auch viele neue Spritzgusswerkzeuge aufgrund der Praxiserfahrung ausgelegt und angepasst. © Harting

Kunststoffe bieten mit ihrer Vielseitigkeit gegenüber anderen Werkstoffen entscheidende Vorteile. So findet sich im heterogenen Produktportfolio der Elektrotechnik- und Elektronikindustrie eine große Breite an Kunststoffanwendungen. Gerade mit der Fähigkeit, elektrischen Strom zu isolieren, in Kombination unter anderem mit der hohen mechanischen Belastbarkeit, Vielfalt und Langlebigkeit sind Kunststoffmaterialien ideal für die Anwendung in der Elektroindustrie. Das sieht auch Harting so, ein Anbieter von industrieller Verbindungstechnik für die drei Lebensadern „Data“, „Signal“ und „Power“.

Immer dünner und leichter, stabiler und sicherer sollten Kunststoffe in elektrischen und elektronischen Bauteilen sein. Hinzu kommen eine gute Fließfähigkeit für besonders dünnwandige oder kleine Bauteile, eine hohe Steifigkeit in Metallersatz-Anwendungen und eine gute Schlagzähigkeit. Was das Verarbeiten von Kunststoffen für E+E-Anwendungen aber nicht selten kompliziert macht, sind hohe sicherheitstechnische Zulassungshürden. So sollten die Werkstoffe in der Regel mit Flammschutzmitteln additiviert sein, die aber wiederum nur einen geringen Einfluss auf das elektrische Isolationsverhalten und das mechanische Eigenschaftsprofil haben dürfen. Auch das Korrosionsverhalten gegenüber Metallen bei der Verarbeitung und auf im Bauteil befindlichen elektrischen Kontakten ist von Bedeutung. Denn die Bauteile müssen ihre elektrische Funktion auch unter kritischen Einsatzbedingungen erfüllen, also auch unter dauerhaft erhöhten Temperaturen wie im feucht-tropischen Klima. Nicht umsonst spricht man bei Harting deshalb auch von den drei Lebensadern der Industrie.

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Von Haushaltsgegenständen zur Automatisierung

Das Unternehmen wurde als „Wilhelm Harting Mechanische Werkstätten“ 1945 von Wilhelm Harting und seiner Frau Marie gegründet. Seit 1950 ist der Firmensitz im ostwestfälischen Espelkamp.

In den Anfängen fertigte Harting zunächst Haushaltsgegenstände wie Kochplatten, Bügel- und Waffeleisen, Sparlampen oder Feueranzünder. Später kamen unter anderem Steckverbinder hinzu. Inzwischen bietet das Unternehmen vor allem industrielle Verbindungstechnik an.

Dieses so simple Bauteil „Steckverbinder“ ist in der zunehmend elektrifizierten und digitalisierten Welt der Schlüssel für die elektrische und elektronische Verbindung. Grundsätzlich ist er die Komponente, die es ermöglicht, Systeme in der elektrischen Energieübertragung und der elektronischen und optischen Signalübertragung optimal zu nutzen. Abhängig vom Einsatzort und der geforderten Übertragungsqualität werden Steckverbinder so konzipiert, dass sie für den jeweiligen Einsatzzweck und die geplante Anwendung bestmöglich geeignet sind – immer im Hinblick auf technische Gegebenheiten und wirtschaftliche Anforderungen, rationelle Herstellungs- und Verarbeitungsverfahren, Anpassungen an vorhandene und zukünftige Technologien, Umwelt- und ökonomische Bedingungen, permanent steigende Datenübertragungsraten sowie höhere Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit. Nun kommt die extreme Miniaturisierung elektronischer Geräte hinzu, wodurch der Einsatz von Kunststoffen noch mehr in den Mittelpunkt des Interesses rückt, da sie sich im Toleranzbereich weniger Hundertstel bis Tausendstel Millimeter verarbeiten lassen.

LCP als Werkstoff für Steckverbinder

Für die „Conduction Cooled MicroTCA“-Systeme verarbeitet Harting als Werkstoff flüssigkristalline Polymere (LCP). © Harting

Nehmen wir den MicroTCA-Backplane-Steckverbinder von Harting. MicroTCA steht für „Micro Telecommunications Computing Architecture“ und ist ein modularer Standard, der den Aufbau von Baugruppenträgern und kompletten Grundsystemen regelt. Die MicroTCA-Spezifikation beschreibt generelle mechanische, elektrische, thermische und managementbetreffende Eigenschaften. Der Harting-Steckverbinder war der erste, der für „Conduction Cooled MicroTCA“-Systeme empfohlen wurde und somit auch unter rauen Umgebungsbedingungen in der Industrie und im Transportwesen eingesetzt werden kann.

Dafür verarbeitet Harting als Werkstoff flüssigkristalline Polymere (LCP), womit filigrane Formteile mit geringen Wanddicken herstellbar sind. LCP zeichnet sich zudem durch Flammwidrigkeit, Dimensionsstabilität bei hohen Temperaturen, chemische Beständigkeit und eine geringe thermische Ausdehnung sowie gute mechanische Eigenschaften aus. In einem weiten Temperaturbereich ist dieser Kunststoff beständig gegen Hydrolyse, schwache Säuren und Basen, Alkohole, Aromaten, chlorierte Kohlenwasserstoffe, Ester, Ketone und alle Chemikalien, die sonst Spannungsrisse auslösen, außer stark oxidierenden Säuren und starken Alkalien. Auch die Witterungsstabilität und die Beständigkeit gegen Gammastrahlen und Kurzwellen sind entsprechend gut. LCP-Varianten sind von sich aus flammwidrig (V0 nach UL 94) und weisen bis auf eine geringe Kriechstromfestigkeit sehr gute elektrische Eigenschaften auf. Mit einer Temperaturbeständigkeit bis +240 °C, kurzfristig sogar bis zu +340 °C, kann LCP darüber hinaus einer thermischen Belastung, wie sie beim bleifreien Löten üblich ist, ausgesetzt werden. Aus diesen Gründen setzt Harting zum Beispiel auch für die har-flex-Steckverbinderfamilie LCP ein.

Für die Verarbeitung von LCP bieten sich Heißkanalsysteme an, da sie einen homogenen Wärmehaushalt garantieren. Was wichtig ist, da Hochleistungskunststoffe wie LCP sensibel auf thermische Einflüsse reagieren. Auch Heißkanaldüsen, die eine optimale Wärmeprofilierung sowohl während des Einspritzvorgangs als auch während der Dosierzeit sicherstellen, sind von Vorteil. „Wichtig ist, bei der gesamten Verarbeitung auf enge Kanal-Querschnitte zu achten“, erklärt Mark Gosewehr, Team Leader Injection Moulding bei Harting Electronics in Espelkamp. Er leitet die Werkzeuginstandhaltung der Kunststoffspritzerei von Harting, wo in Absprache mit dem Werkzeugbau auch Optimierungen durchgeführt werden. „Wir haben hier in Espelkamp 32 Spritzgießmaschinen, überwiegend Maschinen von Arburg, Engel, Ferromatik und Netstal, sowie ca. 420 Spritzgusswerkzeuge im Einsatz. Für die Abteilung bin ich zuständig. Auch sehr viele neue Werkzeuge werden aufgrund unserer Praxiserfahrung hier ausgelegt und angepasst. Und hier kommt Günther Heißkanal ins Spiel. Denn bei der Verarbeitung von LCP kann man viel Material einsparen, wenn man Heißkanalsysteme einsetzt. Mit Günther arbeiten wir bereits seit über 20  Jahren zusammen.“ Hartmut Schmidt, Außendienstmitarbeiter bei Günther Heisskanaltechnik: „Wir haben einen sehr großen Erfahrungsschatz in der Verarbeitung von LCP, was für Harting sehr wichtig war. Denn bei LCP sollte man auf ein sehr gutes Temperaturprofil achten und die Kanäle ordentlich

ausbalancieren, sodass auch alle Kavitäten vernünftig angeströmt werden. Dies ist das Hauptkriterium.“

Das thermische Gleichgewicht muss passen

Enge Nestabstände, hier in einem Messe-Exponat, lassen sich aufgrund des patentierten Dickschichtheizelements (BlueFlow) problemlos ­realisieren. © Günther

Bei der Auslegung des Systems wurde berücksichtigt, dass aufgrund der Flüssigkristallstruktur des LCP die Viskosität mit zunehmender Schergeschwindigkeit abnimmt. Das Heißkanalsystem von Günther zeichnet sich unter anderem durch eine homogene Temperaturführung sowie eine gute thermische Trennung zwischen Heißkanal und Werkzeug aus. Speziell für die Verarbeitung von LCP sind die Querschnitte der Massekanäle im Verteiler und in den Heißkanaldüsen kleiner ausgeführt. Verbaut wurde für die Bandumspritzung µTCA ein 16-fach-Nadelverschluss mit dem Düsentyp 4NFT60S. Mit diesem speziellen Düsentyp lassen sich dank des flachen Gehäuses kleinste Düsenabstände realisieren. Der Anspritzpunkt ist im Verhältnis zum Schussvolumen kleiner gewählt, um die Viskosität des Kunststoffes gering zu halten. „Die Zykluszeit beträgt etwa 7,5 Sekunden bei einem Schussgewicht von ca. 1,5 Gramm auf 16  Düsen“, merkt Mark Gosewehr an. Und Hartmut Schmidt ergänzt: „1,5  Gramm, auf 16 Düsen verteilt, ist natürlich kein großer Durchsatz. Und da muss das thermische Gleichgewicht im Heißkanal passen und ich kann mir keine Temperatur-Peaks erlauben.“

Die Anmerkung von Hartmut Schmidt ist nicht beiläufig, da in diesem Werkzeug viele einzelne Komponenten zusammenkommen. Unter anderem läuft ein kleines Stanzband in das Werkzeug ein. „Diese Kontaktsegmente, die man am MicroTCA-Leiterplatten-Steckverbinder sieht, werden in einer gewissen Reihenfolge paketiert. Zudem kommen noch Erdungsbleche dazwischen, was dann letztendlich den Kartenrandstecker ergibt. 85 Kontaktsegmente aneinandergereiht ergeben dann die Kontaktierung für die Leiterplatte, also den Backplane“, erklärt Gosewehr. Diese Bänder kommen auf Rolle aus der Galvanik, sind also gestanzt und galvanisiert. Anschließend werden sie zu einem Endlosband zusammengeschweißt. Um einen möglichst unterbrechungsfreien Ablauf zu gewährleisten, ist ein Bandspeicher der Spitzgussmaschine vorgeschaltet, um etwaige Unterbrechungen oder einen Rollenwechsel zu kompensieren. Vor dem Umspritzen gibt es dann einen zweiten Stanzdurchlauf. Die erste Stanzung erfolgt beim Erstellen des Bandes, bei der zweiten werden die Kontakte dann leicht abgewinkelt und freigeschnitten. Erst dann läuft das Band über einen automatischen Bandvorschub in das Spritzgusswerkzeug ein. Eine Kameraprüfung kontrolliert die korrekte Lage. Hinter der Spritzgussmaschine ist wiederum eine Vereinzelungszelle nachgeschaltet, in der die Kontakte vereinzelt werden.

Hartmut Schmidt betont: „Wir haben so viele Einflussgrößen rund um das Werkzeug und neben der Maschine, die berücksichtigt werden müssen. Deshalb ist es wichtig, dass das thermische Gleichgewicht im Heißkanal sehr stabil ist.“ Und Gosewehr fügt hinzu: „Obwohl LCP allgemein wenig Wasser aufnimmt und damit einhergehend über eine gute Dimensionsstabilität verfügt, setzen wir Trockner mit einem Taupunkt von –40 °C ein, die die Restfeuchte auf den Zielwert von 0,02 % reduzieren. Eine gewissenhafte Trocknung des Materials vor der Verarbeitung verbessert die Formteileigenschaften nicht unwesentlich.

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