Kugelstrahlanlage mit neuer Steuerungstechnologie fit für viele Jahre
Retrofit im Duroplast-Spritzguss
Für das Entgraten von Duroplastteilen setzt Spritzgießer Gira, Hersteller von Lösungen für die Gebäudetechnik, auch eine Kugelstrahlanlage ein. Diese wurde nach über zwei Jahrzehnten Einsatzdauer unter anderem mit aktueller Steuerungstechnik modernisiert, um die Zyklen deutlich zu verkürzen, neue Funktionen einfach zu integrieren und den Energieverbrauch zu senken. Die neue Gesamtlösung dient dem Unternehmen als Pilotprojekt mit Vorbildcharakter für weitere Modernisierungen.
Gira Giersiepen zählt sich mit über 1200 Mitarbeitern und Vertretungen in 40 Ländern zu den führenden mittelständischen Unternehmen der Elektroindustrie in Deutschland. Der Schwerpunkt liegt bei Produkten für die Gebäudetechnik. Entscheidend für die wirtschaftliche und reibungslose Produktion der qualitativ hochwertigen Kunststoffteile sind effiziente Produktionslinien mit hoher Verfügbarkeit. "Aus diesem Grund orientieren sich Modernisierungsmaßnahmen konsequent an prozesstechnischen, energetischen sowie servicetechnischen Verbesserungen", berichtet Udo Weissmann, verantwortlich für die Instandhaltung im Bereich Kunststofftechnik bei Gira.
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Ein Beispiel dafür ist die Modernisierung einer Kugelstrahlanlage zum Entgraten von Spritzgussteilen aus Duroplast. Nach 22 Jahren in Betrieb wurde sie Anfang 2014 grundlegend modernisiert. Dabei wurden Steuerung, Schalttechnik, Visualisierung und Antriebstechnik komplett neu installiert. Udo Weissmann betont: "Zum ersten Mal haben wir im Zuge einer Retrofit-Maßnahme durchgängig die modernste Technologie eingesetzt, die es am Markt gibt - und dabei viele Vorteile erzielt."
Verbesserte Diagnose durch IO-Link
Markantester Vorteil sei die drastische Verkürzung der Zykluszeiten. Zum Hintergrund: Etwa ein Dutzend Drehstromasynchronmotoren sorgen in der Anlage für Bewegung, zum Beispiel für Strahlantrieb, Transportbänder, Förderschnecken, Entgratungstrommel, Filter und Rüttler. Gesteuert wird die Anlage über eine Simatic S7-1500 von Siemens, die laut Hersteller etwa 40 mal schneller arbeitet als eine S7-400. Ergänzend dazu wurden einige Antriebe mit Frequenzumrichtern der Typen Sinamics G110 oder G120C ausgerüstet. "Das Resultat ist, dass wir beim gleichen Warendurchlauf pro Schicht 150 Minuten sparen", nennt Udo Weissmann ein konkretes Ergebnis.
Neben der verbesserten Prozesstechnik aufgrund der neuen steuerungs- und antriebstechnischen Möglichkeiten wurde auch die Diagnosetechnik erheblich erweitert. Grund dafür ist der erstmalige Einsatz von IO-Link. Jeder Drehstrom-Asynchronmotor mit Festdrehzahl wird über einen Sirius-Kompaktabzweig 3RA6 mit IO-Link gestartet und gegen Überlast sowie Kurzschluss abgesichert. Dank der elektronischen Überlastauslösung mit Weiteinstellbereich der Geräte genügten für die gesamte Anlage zwei Baugrößen. Durch die Möglichkeit der Anbindung an die Steuerungstechnik mithilfe von IO-Link lassen sich über die Maschinensteuerung und die Visualisierung eine Reihe wichtiger Diagnosemeldungen der Motorstarter übertragen und anzeigen.
Reduzierter Verdrahtungsaufwand spart Zeit
Udo Weissmann bestätigt: "Wir beobachten alle diese Meldungen und lassen sie am Display anzeigen." Das dafür eingesetzte KTP 600 von Siemens ist zwar sehr kompakt, zeigt dem Maschinenbediener dennoch auf einen Blick, ob alles in Ordnung ist. 14 Diagnose- und Bedienmeldungen wie Starterstatus, Sammelfehler und Quittierbefehl zeigt der Bildschirm. Neben der erheblich verbesserten Diagnose war Udo Weissmann vor allem von der einfachen Verdrahtung und der damit gesparten Zeit durch IO-Link überrascht. Beispielsweise genügt der Anschluss zum IO-Link-Master über den ersten aus einer Vierergruppe von Kompaktabzweigen. Die restlichen drei werden dann einfach über vorkonfektionierte Flachkabel miteinander verbunden. Seiner Einschätzung nach konnte dadurch und durch das Einsparen von Hilfsschaltern, Koppelrelais etc. etwa eineinhalb Tage eingespart werden.
Zudem steige die Flexibilität durch Einsatz dieser Kommunikationstechnik. So wünschten sich die Maschinenbediener zum Beispiel eine große Signallampe an der Maschine, die jede Störung anzeigt. Technisch war das einfach umsetzbar: Ergänzend zur Steuerung wurde im Schaltschrank die kompakte dezentrale Peripherie Simatic ET 200SP platziert und über Profinet verbunden. Erweitert wurde sie mit dem IO-Link-Master, der über vier Kanäle bis zu 16 Einzelantriebe verwalten kann. Zur optischen Anzeige einer Fehlermeldung musste die Warnlampe lediglich an einem Ausgang der dezentralen Peripherie angeschlossen werden. Einfacher gehe es kaum, und weil Änderungswünsche so einfach umzusetzen sind, wurde auch gleich am Filterturm ein zusätzlicher Differenzdruckschalter angebracht, der eine bevorstehende Filterreinigung frühzeitig detektiert.
Einspeisesystem als vorteilhafte Ergänzung
Auch die Sicherheitstechnik profitiert von IO-Link. Denn die Motorstarter 3RA6 sind im Schaltschrank nicht auf der Hutschiene, sondern im zugehörigen Einspeisesystem 3RA68 gesteckt. So kann die zentrale Energieeinspeisung im Not-Aus-Fall sicherheitstechnisch komplett abgeschaltet werden. Gleichzeitig überwacht IO-Link die Endlagenschalter, die jeder Kompaktabzweig On-board hat, und gibt entsprechende Status- oder Diagnosemeldungen an die Steuerung weiter.
Für Udo Weissmann ist das Einspeisesystem eine wichtige Erleichterung in Bezug auf die Schalttechnik, den Verdrahtungsaufwand und bei Serviceeinsätzen. Durch die stehende Verdrahtung muss ein Gerät lediglich nach vorne abgezogen und das neue nach Einstellung des entsprechenden Strombereichs einfach wieder aufgesteckt werden. Durch diese Lösung in Verbindung mit der IO-Link-Anschaltung reduzierte sich nach seinen Angaben der Platzbedarf für den Schaltschrank um etwa 60 Prozent. Auch das ist ein Vorteil der innovativen Gesamtlösung, die auf Profinet, IO-Link und ASIsafe basiert.
Vereinfachtes Engineering durch moderne Software
Bei der Anlagenmodernisierung der Glaskugel-Strahlanlage haben die Verantwortlichen auch zum ersten Mal das Engineering-Framework TIA Portal von Siemens eingesetzt. Auf einer Softwareplattform lassen sich Programmierung, Parametrierung und Visualisierung von Steuerungs-, Antriebs-, Schalt- und Sicherheitstechnik realisieren. Weissmanns Fazit: "Obwohl die Maschine nun 40 Prozent mehr kann als vorher, war die Programmierung, Parametrierung und Inbetriebnahme äußerst einfach."
Beispielsweise gibt es nun regelbare Antriebe, deren Parametrierung erheblich einfacher abläuft als bisher mit Step7. Auch bei Fehlermeldungen innerhalb der Steuerung muss heute kein PC mehr an die CPU angeschlossen werden, sondern die S7-1500 zeigt alles in Klartext am Panel an.
Auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten sei die Lösung positiv zu bewerten. Die Steuerung wird in Verbindung mit zwei Softwarelizenzen des TIA Portals als Starterpaket angeboten. Autodidaktisch hat sich Udo Weissmann in die neue Software eingearbeitet. Seine Erfahrung: "Das hat wirklich Spaß gemacht, weil alles sehr übersichtlich ist und sämtliche Arbeiten auf Anhieb funktioniert haben." In diesem Zusammenhang erwähnt er auch die Unterstützung durch die technische Hotline von Siemens.
Gesamtlösung im Blick
Die Umbaumaßnahme war innerhalb von drei Wochen abgeschlossen. Dank der Modernisierung wurde laut Anwender mit den geregelten Antrieben und energieeffizienten IE2-Motoren zudem eine erhebliche Energieeinsparung erreicht. Statt einer Stromeinspeisung von bisher 3 x 16 Ampere genügen nun 3 x 9 Ampere, was zu einer rechnerischen Energieeinsparung von etwa 37.000 kWh im Jahr führe.
Durch den erstmaligen Einsatz von innovativer Steuerung, leistungsfähiger Bustechnik und flexibler Schalt- und Antriebstechnik in der Gira Instandhaltungsabteilung wurde eine Reihe von Potenzialen erschlossen. Die daraus resultierende verbesserte Diagnosefähigkeit wirkt sich positiv auf Anlagenverfügbarkeit und Transparenz aus. Die neuen Möglichkeiten in der Steuerungstechnik haben indes nicht nur auf der energetischen Seite einen bedeutenden Vorteil gebracht, sondern auch auf der prozesstechnischen.
Während nun die Durchlaufzeiten kürzer sind, kann künftig sogar über eine eigene Rezeptverwaltung nachgedacht werden. Damit ließe sich die Prozessautomatisierung weiter optimieren. Für Udo Weissmann hat deshalb das hier umgesetzte Gesamtkonzept einen wegweisenden Charakter. Sein Blick "in die Glaskugel" verrät: "Künftige Um- oder Neubauten profitieren von den Erfahrungen, die wir hier gemacht haben - und diese sind durchwegs positiv."
Der Beitrag basiert auf einem Manuskript von Frank Schauenberg, Siemens AG, Division Industry Automation