50 Jahre Kunststoffe verändern die Welt - Teil 2
Kunststoff und Elektronik Hand in Hand
Weniger spektakulär sind die Kunststoffeinsätze als Problemlöser in Elektrik und Elektronik der Fahrzeuge. Aber: Kein Airbag funktioniert ohne Bauteile aus Kunststoffe, gleiches gilt für das ABS. Hier sind Polymere sowohl in mechanischen wie in elektrischen Hochleistungs- und Sicherheitsanwendungen im Einsatz.
Was mit Haushaltsgeräten wie dem Tauchsieder und Toaster begann, über die Computerplatine und Sensoren bis zum hochkomplexen Steuergerät fortgeführt wurde, war das gelungene Zusammenspiel von Kunststoffen mit elektrischen und elektronischen Elementen. Hohe Isolationsleistung der meisten Kunststoffe, hervorragende Verarbeitbarkeit bei günstigen Kosten in der Massenfertigung unterstützten den Trend der Technisierung von Industrie und Haushalt und der gesamten Lebensumgebung. Zu leicht wird vergessen, dass noch in den 40er und 50er Jahren Kabel in Wohnhäusern gelegentlich aus Aluminium bestanden und mit Papier isoliert waren. Entsprechend aufwendig waren die Verlegung und gering die Leistungsfähigkeit.
Gegen Brandausbreitung ausgerüstete Polymer übernahmen die „Alleskönner-Rolle“: Sie dienten den Designer, um Produkte mit neuen Farben und Formen vom Wettbewerb abzuheben, aber auch den Technikern, um bessere und sichere Lösungen zu realisieren oder auch Funktionsbaugruppen erheblich zu schrumpfen. Und es waren die Buchhalter mit im Boot, die auf kostengünstigere Lösungen drängten. Mit Additiven zum Flammschutz ausgerüstete Kunststoffe eröffneten weitere Möglichkeiten, elektrische Geräte und Installationen einfacher und kostengünstiger zu produzieren. Da seit einigen Jahren auch halogenfreie Flammschutzausrüstungen für viele Kunststoffe zur Verfügung stehen, können zudem gesundheitliche Bedenken weitgehend ausgeräumt werden.
Exterme Miniaturisierung elektronischer Geräte, vom Handy bis zum implantierbaren Hörgerät sind mit Kunststoffen möglich, die sich im Toleranzbereich weniger Hundertstel bis Tausendstel Millimeter verarbeiten lassen. Weitere Möglichkeiten versprechen sich – und ihren potenziellen Kunden – die Compoundeure vom partiellen Einsatz elektrisch leitfähiger Kunststoffe. Erstmals Mitte der 70er Jahre wurde das leitfähige Polymer Polyacetylen vorgestellt, im Jahr 1987 entwickelte die BASF eine Variante mit weit höherer Leitfähigkeit als Kupfer. In den Folgejahren wurden verschiedene Varianten mit Füllstoffen zur Erzielung elektrischer Leitfähigkeit entwickelt. Bislang sind eher Nischenanwendungen bekannt, die bisherigen Werkstoffe zeigen nicht für alle Anwendungen geeignete Verarbeitungseigenschaften. Ähnliches gilt für wärmleitfähige Kunststoffe, die dazu genutzt werden, Wärme aus elektronischen Geräten ohne zusätzliche Kühlung abzuführen. Höhere Leistungsdichten sind so realisierbar. Es bleibt zu bemerken: Kunststoffe sind in der Lage, je nach Ausrüstung gegensätzliche Funktionen zu erfüllen.
Trotz extremer Variabilität der Fertigungsverfahren werkeln die Spezialisten weiterhin täglich an der Erweiterung der Möglichkeiten, um Produkte zu fertigen, die es bisher nicht gibt, die Funktionsintegration weiter zu treiben, Montagen verzichtbar zu machen oder auch kleine bis kleinste Stückzahlen effizient zu fertigen. So liefert das Spritzgießen Produkte zwischen wenigen Mikrogramm für die Medizintechnik bis zu einigen Dutzend Kilogramm schweren Abfallbehältern in einem Schuss. Trotz dieser Variabilität und enormen Spreizung – ebenso wie die Extrusion sind die Technologien tendenziell auf größere Stückzahlen ausgerichtet.
Machbar ist auch Losgröße 1
„Generative Verfahren“ ist das Schlagwort, wenn es um die wirtschaftliche Produktion von kleinsten Losgrößen bis herunter zu Einzelstücken geht. Meist als Rapid Prototyping bezeichnet, sind die verschiedenen Verfahren längst der Beschränkung auf den Model- und Prototypenbau entwachsen. Seit den 80er Jahren wurden verschiedene Technologien entwickelt, die alle eins gemein haben: Produkte werden durch Auftragen und Ablagern kleiner Materialmengen anhand eines digitalen Modells produziert. Eingesetzt werden Kunststoffe, aber auch Metalle. So lassen sich Produkte mit beliebigen Geometrien, auch mit Hinterschnitten, in einem Zug ohne Montagen produzieren. Die Qualitäten waren – sowohl hinsichtlich der Toleranzen, also in Bezug auf mechanische Stabilität und nicht zuletzt der Farben – zunächst eher bescheiden. Heute erreichen additiv gefertigte Bauteile mechanische Festigkeiten und Oberflächengüten, die den direkten Einsatz als verkaufsfähiges Produkt ermöglichen.
Der Übergang vom Rapid Prototyping zum Rapid Manufacturing eröffnet den Anwendern dieser Technologie neue Freiheitsgrade. So kann beispielsweise die Marktakzeptanz neuer Produkte in Kleinserien erprobt werden, ohne dass spezielle Werkzeuge für die Herstellung der Bauteile erforderlich sind. Das Verfahren ermöglicht zudem Bauteilgeometrien, die mit anderen Verfahren nicht oder nur mit erheblichem Aufwand realisiert werden können. Anwendungen finden sich aktuell unter anderem in der Medizintechnik: Kundenindividuelle Zahnprothesen oder exakt angepasste Hörgeräte oder Implantate. Darüber hinaus denken die ersten Unternehmen darüber nach, Ersatzteillager für sehr alte Maschinen und Anlagen aufzugeben und bei Bedarf einzelne Bauteile in einem der generativen Verfahren ad-hoc neu zu produzieren. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass ein CAD-Datensatz vorliegt. Die Logistikkosten können mit solchen Konzepten drastisch sinken.
Kunststoff und die neuen Medien
Im Gegensatz zur Einzelfertigung der generativen Verfahren bietet der Kommunikations- und Unterhaltungsmarkt den Massenmarkt schlechthin. Noch bis in die 80er Jahre hinein dürfte es – wenn überhaupt – nur wenige Kunststoffprodukte gegeben haben, die Auflagen von mehr als 100 Millionen jährlich erreichten. Anfang der 80er schickte die Musikindustrie die CD auf dem Markt, um die klassische Schallplatte abzulösen. Verschiedene Quellen schätzen die Produktion allein von Musik-CDs in der Spitze zu Anfang des neuen Jahrhunderts auf bis zu 200 Millionen jährlich. Die etwa 15 Gramm schweren Polycarbonatscheiben mit standardmäßig 120 Millimeter Durchmesser revolutionierten nicht nur den Musikmarkt und sorgten für kostengünstige, dauerhafte Speichermöglichkeiten großer Datenmengen am heimischen PC, sie stellte die Maschinenbauer vor ganz neue Herausforderungen. Spritzgießgeschwindigkeiten und Zykluszeiten, wie sie selbst in der Verpackungsindustrie bis dato nicht erreicht wurden, waren gefordert. Und das bei geringsten Toleranzen. Zudem wurden CD-Hüllen und -Verpackungen unterschiedlicher Art produziert, der Präzisionsformenbau war besonders gefordert. Insgesamt entstand ein Riesenmarkt rund um die Silberscheiben. Trotz der extremen Anforderungen ließen die Kostenkalkulationen kaum Spielraum, es wurde so heftig an allen Stellschrauben der Produktionskette gedreht, wie wohl bei keiner Produktgruppe zuvor.
Fast so schnell wie dieser Markt entstand, brach er in den vergangenen 10 Jahren zusammen. Trotz verschiedener Optimierungen wie Erhöhung der Datenraten und Kapazitäten sowie der mehrfachen Beschreibbarkeit behielten CDs beziehungsweise deren Nachfolger nur noch im Filmemarkt eine gewisse Bedeutung. Neuere PCs verfügen in der Regel über kein Laufwerk für diese Datenträger mehr, sie wurden abgelöst durch USB-Speicher in verschiedenen Bauformen. Aber auch die bestehen typischerweise weit überwiegend aus Kunststoffen – Aufgaben und Anforderungen wandeln sich, Verarbeiter und Werkstoffe passen sich flexibel an. Geblieben ist ein Erfahrungsschatz, beispielsweise zur Senkung von Zykluszeiten, den vor allem die Maschinenbauer in anderen Branchen, beispielsweise für Verpackungsanwendungen nutzen konnten.
Verändert hat die CD auch die Medienwelt: Adress- und Nachschlagewerke wurden in den 90er Jahren irgendwann nicht mehr gedruckt, sondern auf „Datenträger“ angeboten. Schnellere Aktualisierungen von Datenbeständen wurden möglich, der Aufwand im Postversand schrumpfte im wahren Wortsinne auf Briefkuvert-Größe. Inzwischen stehen online per Smartphone oder Notebook verfügbare Informationen – je nach Art und User – mehr oder weniger gleichrangig neben dem gedruckten Wort. Erst die Kunststofftechnik – an Gehäusen, Platinen, komplexen inneren Strukturen, Monitorbauteilen, Touchpads und vielen anderen Komponenten bis hin zur Transporttasche, hat die Kommunikationsmittel für die Masse der Verbraucher verfügbar gemacht. Der Weg vom schwarzen Tischfernsprecher W38 mit Bakelit-Gehäuse von Siemens & Halske (entwickelt im Jahr 1938) bis zum skypenden „Kostenlos Rund-um-die-Welt-Telefonierer“ hat es nur wenige Jahrzehnte gedauert.
Ölfeld unter dem Pflug?
Es stellt sich die Frage: „Wohin mit den Unmengen an Kunststoffen aus diesen und anderen Anwendungen? Vor allem die großen Mengen aus der Getränke- und aus der Verpackungsindustrie, aus dem Fahrzeugbau, aber eben auch aus der Elektronik und vielen anderen Branchen so aufzubereiten, dass sie sinnvoll wiederverwertet werden können, ist keine einfache Aufgabe. Während die Duroplaste und duroplastartigen Werkstoffe der frühen Jahre eine weitere Verwertung nur sehr begrenzt zuließen, lassen sich die Thermoplaste prinzipiell recyceln und zu Neuware verarbeiten. Allerdings stören nicht sortenreine Mischungen von Kunststoffen, Verschmutzungen und der Abbau von Leistungsdaten aufgrund thermischer Schädigungen bei der Verarbeitung die Wiederverwertung. In Teilbereichen haben sich zumindest in einigen Ländern funktionierende Sammelsysteme und Aufbereitungstechnologien etabliert, beispielsweise in der Fensterbranche. Bereits in den 60er Jahren, spätestens aber nach den Ölpreiskrisen von 1973 und 1979 kamen Fragen nach der Endlichkeit der Ressource Erdöl und möglichem Ersatz auf.
Der könnte in der verstärkten Nutzung nachwachsender Rohstoffe liegen. Anwendungen wie die Nutzung pflanzlicher Fasern als Verstärkungsmaterial sind zumeist in untergeordneten Anwendungen realisiert. Zu Profilen extrudierte Wood Plastics Composites als Verbindung eines Polymers, überwiegend Polypropylen, mit Holzwerkstoffen, haben sich in verschiedenen Bauanwendungen als die bessere Alternative zu reinen Holzwerkstoffen etabliert. Prinzipiell können solche Massen auch im Spritzguss verarbeitet werden, hier sind Anwendungen jedoch sehr rar.
Mit Ehrgeiz entwickeln die Unternehmen Materialien, die herkömmlichen Polymeren gleichwertig sein sollen. Ausgangsbasis dafür sind häufig Polyactide (PLA), auch Polymilchsäuren genannt. Sie gehören zu den Polyestern, gewinnen lasen sie sich aus Biomasse. Bereits Mitte der 50er Jahre wurde ein Verfahren zur Herstellung patentiert, einen Aufschwung nimmt die Technologie seit einigen Jahren im Zuge der Verteuerung ölbasierter Polymere. Folien für die Landwirtschaft, diverse Verpackungen oder auch Getränkebecher aus PLA sind seit einigen Jahren auf dem Markt. Zumindest einen Teil der petrochemischen Anteile ersetzen viele Produzenten in ihren Produkten, und schaffen so den ersten Schritt in Richtung Bio-Werkstoff. Neu ist die Möglichkeit, EPS-Schäume, häufig unter dem Produktnamen Styropor subsummiert, zu einem hohen Anteil oder komplett aus nachwachsenden Rohstoffen zu produzieren. Damit dürfte sich echte Massenmärkte in der Verpackungstechnik und der Baubranche erschließen.
Auch das Unternehmen Fischer ist mit seinen Dübeln in den Markt der Biowerkstoffe eingestiegen: Laut Unternehmen weisen die Dübel die gleichen Leistungsdaten wie die herkömmlichen Produkte, bestehen auf zu mehr als 50 Prozent aus erneuerbaren Stoffen. Hier dient Sebacinsäure, basierend auf Rizinusöl, als Rohstoff.
Diskussionen um ethische Fragen, darum, ob landwirtschaftliche Produkte für technische Produkte verwendet werden dürfen, stellen sich hier nicht. Die eingesetzten Mengen sind im Verhältnis zur Gesamtproduktion minimal, zudem werden hier typischerweise Abfallprodukte und Reststoffe eingesetzt.
Dass dieser Beitrag vom Start des Kunststoff Magazins vor 50 Jahren mit dem „Allerwelts- und Massen-Produkt“ Dübel startet und schließt, ist typisch für die gesamte Branche. Innovationen an Werkstoffen, Verfahren, Maschinen und Produkten ermöglichen im Zusammenspiel immer wieder – technisch und wirtschaftlich – bessere Lösungen. Das Rad wird auch in dieser Branche nicht ständig neu erfunden, aber es dreht sich mit vergleichsweise hoher Geschwindigkeit – ein Abbremsen ist auch künftig nicht in Sicht.