Mikrospritzguss
Knapp an der Haarspalterei vorbei
Mikro-Spritzguss ist kein üblicher „Spritzguss in klein“. Er verlangt andere Rahmenbedingungen und Vorgehensweisen. Deshalb hat sich das Schweizer Unternehmen Stamm nach eigenen Angaben in einer strategischen Entscheidung 1997 zur Forcierung dieses Bereichs entschlossen und fokussiert sich seit dem auf technische Klein- und Mikroteile.
Heute ermöglicht das Verfahren der Mikrospritzgießtechnik Bauteile mit hoher Präzision herzustellen. Klein Geometrien und Mikrostrukturen können, je nach Wahl des Werkstoffs, bis in den Mikrometer-Bereich mit hoher Reproduzierbarkeit abgeformt werden. Und dies zu vertretbaren Kosten: Die oft hohen Anfangsinvestitionen für die Herstellung eines entsprechenden Spritzgießwerkzeugs amortisieren sich schnell über steigende Stückzahlen, so das Unternehmen. Zudem stehen inzwischen fast unzählige Polymere zur Verfügung, um den unterschiedlichen Anwendungen und Anforderungen an die Artikel gerecht werden zu können. Dabei ist der Trend zu Hochleistungswerkstoffen unverkennbar.
Themen im Artikel
Mini-Ufo – die Ausgangslage
Als Kooperationspartner wurde Stamm beauftragt, ein Kunststoffteil zu entwickeln und herzustellen, das als hochpräzise Positionierhilfe für ein Handy-Beamersystem zum Einsatz kommen soll. Das Teil wurde intern schnell als Ufo bezeichnet. Die Anforderungen bezüglich des Materials waren unspektakulär, da das Bauteil lediglich minimale Kräfte in axialer Richtung aufnehmen muss und keine Affinität zum verwendeten Klebstoff aufweisen darf.
Unspektakulär ist auch die endgültige Geometrie des Bauteils: Rotationssymmetrisch mit einigen Features an der Ober- und Unterseite. Durchmesser 1,0 Millimeter, Höhe 0,45 Millimeter, Teilgewicht 0,00027(!) Gramm – das sind für 5000 Teile gerade einmal 1,35 Gramm. Damit hat dieses Bauteil gute Chancen, der weltweit kleinste in hohen Stückzahlen serienmäßig produzierte Artikel zu sein.
Höhere Ansprüche stellen die verschiedenen Funktionsflächen, da hier weder Trennlinien, Auswerfermaken noch der Anspritzpunkt erkennbar sein durften. Hohe Ansprüche an Koaxialität und Zentrierungsgeometrie verbunden mit niedrigen ppm-Werten stellten zudem weitere Herausforderungen an die Prozesssicherheit.
Der Fünfkampf moderner Spritzgießtechnik beginnt
Natürlich ging es vorerst darum, System und Funktion des Bauteils kennen zu lernen und dieses zur endgültigen Version weiter zu entwickeln. Dabei spielten die üblichen Fragen der Einformung, Anspritzung und Entformung eine wichtige Rolle. Die Anspritzposition konnte wegen der zahlreichen Funktionsflächen nur stirnseitig auf die Kegelstumpffläche gesetzt werden. Die Dimensionierung der Anspritzgeometrie war durch die kaum vorhandenen Platzverhältnisse eine Gratwanderung, da ein sauberer, nicht vorstehender Abrisspunkt vorausgesetzt wurde. Die Anforderungen an das Auswerfersystem waren beträchtlich, da die Koaxialität aufgrund der Toleranzsummierung durch Auswerfer in diesen Dimensionen stark beeinträchtigt wird.
Nach Abschluss dieser Phase haben die Spezialisten ein Dreiplattenwerkzeug mit vier Kavitäten als Fertigungskonzept gewählt. Als Material wurde ein Hostaform C9021 vorgeschlagen, ein Polymer das sich insgesamt sehr gut im Mikrobereich verwenden und verarbeiten lässt.
Werkzeugbau – es geht um Haarspaltereien
Da das Unternehmen in diesen Mikro-Bereichen bereits verschiedene Zahnräder hergestellt hatte, war ausreichendes Know-how vorhanden. Auf Bau eines Prototypen-Werkzeuges wurde verzichtet. Dennoch muss für diese Dimensionen das Prozessnetzwerk mit Akribie perfektioniert sein. Das gilt nicht nur für die Bereiche Schleifen, Elektroden fräsen, Erosion und Montage, wo ausschließlich Hochpräzisions-Bearbeitungsmaschinen zum Einsatz kommen. Faktoren die sonst Nebensächlichkeiten sind, werden zu entscheidenden Erfolgsfaktoren: Die Wahl eines homogenen Werkzeugstahls, die Graphitqualität für die Elektroden, speziell geprüfte, diamantbeschichtete Fräser für deren Herstellung, ein fehlerarmes Spannsystem, klimatisierte Fertigungsräume und andere Einflüsse sind unter Kontrolle zu halten.
Die geforderte, hohe Oberflächengüte der Einsätze, die durch ihre schiere Kleinheit keine manuelle Bearbeitung mehr zuließ, verursachte im Erosionsprozess einen hohen Elektrodenverschleiß. Zur Elektrodenfertigung diente eine Hochpräzisions-Fräsmaschine von Kern Microtechnik, mit einer Positioniertoleranz von 2 Mikrometer, spezieller Spindelkühlung und einer Laserlichtschranke, wo die Werkzeuge kontinuierlich vermessen werden, um Abweichungen über die Steuerung zu kompensieren. Zusammen mit einer Agie Form200 bilden diese Prozesse das harmonisch aufeinender abgestimmte Herzstück der Mikrofertigung.
Produktion – gesichert Schuss für Schuss
Ist das Werkzeug bemustert und zur Produktion freigegeben, gilt es, mit hoher Zuverlässigkeit die geforderte Qualität zu reproduzieren. Es sind standardisierte Spritzgießmaschinen zum Einsatz, die in wenigen technischen Punkten für die Mikroproduktion optimiert wurden. Allerdings müssen die Maschinenparameter detailliert aufeinander abgestimmt sein, da schon geringe Prozessschwankungen zu fehlerhaften Teilen führen können.
Die Produktion von Mikrobauteilen erfordert ein vertieftes Prozessdenken des Facharbeiters. Material, Maschine, Werkzeug, Robotik und die Parameter müssen symbiotisch zu einer Einheit verschmelzen.
Messtechnik – auch eine Frage der Geduld
Das Ufo stellt messtechnisch keine besonderen Anforderungen. Zur Produktionsüberwachung dienen optische Messgeräte mit 150-facher Vergrößerung. Was die Sache dennoch zur Herausforderung werden lässt, ist das Handling der Teile. Durch die geringe Größe sind diese sehr empfindlich und das Aufsetzen und Positionieren in einem Messsystem kann zuweilen einer Geduldsübung gleichkommen.
Was gelingen muss, ist der Spagat zwischen einem Luftspalt in den Auswerferbohrungen zur Entlüftung und der Vermeidung auch geringster Abzeichnungen der Auswerfer (Gratbildungen), die nicht nur das messtechnische Ergebnis sondern auch die Funktion des Bauteils beeinträchtigen würden.
Logistik – bitte den Atem anhalten
Mit der Entformung der Teile beginnt die Logistik. Eine freifallende Produktion ist nicht denkbar, da aufgrund des minimalen Gewichts und der Elektrostatik die Ufos zwischen dem Werkzeug bestenfalls schweben würden. Die Entformung der Teile muss synchron mit der Roboterentnahme verlaufen, damit keine Beschädigungen oder Deformationen auftreten. Die richtige Wahl der Oberflächenbeschaffenheit und die Auswerferdimensionierung müssen daher aufeinander abgestimmt sein. Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei der Schnittstelle zum Entnahmegreifer, der mit Vakuum die Spritzlinge halten und somit einen sicheren Transport in die Verpackung gewährleisten muss. Sauberkeit im gesamten Umfeld muss gegeben sein, ebenso die ausschließliche Verwendung antistatischer Gefäßen und Verpackungen.
Wie man den Fünfkampf gewinnt
Solche Projekte der Mikrotechnik müssen auf allen Ebenen beherrscht werden. Auch wenn die modernsten Maschinen zur Verfügung stehen, ist und bleibt der qualifizierte Mitarbeiter der Schlüssel zum Erfolg. Dieser muss über vertieftes Prozessverständnis verfügen und Freiräume zur kreativen Problemlösung besitzen. Und wie bei jedem kritischen Projekt ist der offene Dialog, die Kooperation mit dem Kunden und allen Prozessbeteiligten wichtig, denn nur über diesen Dialog lässt sich der Regelkreis des Erfolgs schließen.
Fakuma, Halle B2, Stand 2116